Europäischer Erfinderpreis 2018 für schnelle MRT in der medizinischen Diagnostik: Jens Frahm gewinnt in der Kategorie Forschung
Frahm setzte sich in der Kategorie Forschung erfolgreich gegen die mit ihm nominierten britischen Forscher Eileen Ingham und John Fisher sowie das polnische Team um Jacek Jemielity, Joanna Kowalska und Edward Darżynkiewicz durch. In seiner Rede bedankte sich der frisch gekürte Preisträger und lobte sein gesamtes Team: „Der Europäische Erfinderpreis ist eine große Ehre und eine wundervolle Anerkennung der innovativen Arbeit unseres ganzen Forschungsteams. Ich bin herzlich den vielen fantastischen Mitarbeitern dankbar, die über die Jahre daran gemeinsam gewirkt haben.“
100 Millionen Untersuchungen jährlich mit FLASH
Bei den ersten MRT-Geräten in den 1970er-Jahren mussten Patienten für ein aussagekräftiges Bild minutenlang völlig still liegen – ein großer Nachteil gegenüber den deutlich schneller erstellten Ultraschall- und Röntgenaufnahmen. Frahm revolutionierte die MRT, indem er diese radikal schneller machte. Die von ihm und seinem Team entwickelte FLASH-Technologie reduzierte die Bildaufnahmeraten von Minuten auf Sekunden und machte die MRT in der Folge zu einem der bedeutendsten bildgebenden Verfahren in der klinischen Diagnostik. Anders als Röntgenstrahlen ist diese Technik für den Patienten zudem völlig unschädlich. Weltweit finden rund 100 Millionen Untersuchungen im Jahr statt; jede einzelne nutzt Frahms Technologie. Mit dem FLASH2-Verfahren gelang Jens Frahm und seinem Team 2010 schließlich ein zweiter großer Durchbruch hin zur Echtzeit-MRT, mit der sich erstmals Vorgänge aus dem Inneren unseres Körpers live filmen lassen – ein weiterer entscheidender Fortschritt für eine medizinische Diagnose.
Die MRT macht sich die magnetischen Eigenschaften der Wasserstoffkerne in Wassermolekülen zunutze, die überall im menschlichen Körper vorhanden sind. Im Magnetresonanz-Tomografen richten sich diese Wasserstoffkerne parallel zu den Magnetfeldlinien aus, die vom Gerät erzeugt werden. Durch einen kurzen Radiofrequenzimpuls werden die Kerne dann aus ihrem Gleichgewicht ausgelenkt. Beim Zurückschwingen in ihre ursprüngliche Ausrichtung senden sie ihrerseits Radiowellen aus, die von hochempfindlichen Spulen aufgezeichnet werden. Vielfach wiederholt, lässt sich aus diesen ortsabhängigen Signalen am Computer ein Bild berechnen, das exzellente Darstellungen von Organen und Gefäßen ermöglicht.
MRT-Aufnahme in Sekunden statt Minuten
Die erste MRT-Aufnahme eines Menschen im Jahr 1977 dauerte genau vier Stunden und 45 Minuten – für den klinischen Alltag ein untaugliches „Schneckentempo“. „Die damals sehr langen Messzeiten in der MRT entstanden durch die vielen Einzelmessungen mit unterschiedlicher Ortskodierung und der dazwischen nötigen Wartezeit“, erklärt Frahm. „Unsere Idee in den 1980er-Jahren war es, für jede Einzelmessung nur einen Teil des verfügbaren MRT-Signals zu nutzen. Mit diesem physikalischen Trick konnten wir die Pausen vollständig eliminieren und die Messzeiten mit FLASH radikal um mindestens den Faktor 100 verkürzen.“ In wenigen Minuten war so ein hochaufgelöstes, dreidimensionales MRT-Bild erstellt – und dies ohne Verlust von Bildqualität.
Führende Hersteller von MRT-Geräten übernahmen FLASH bereits innerhalb weniger Monate. Als bis heute profitabelstes Patent der Max-Planck-Gesellschaft hat es rund 155 Millionen Euro an Lizenzeinnahmen eingebracht.
FLASH mit Videofunktion
Im Jahr 2010 lösten Frahm und sein Team mit FLASH2 schließlich auch das Problem der hohen Zahl an erforderlichen Einzelmessungen. Einfach ausgedrückt ist FLASH2 die FLASH-Technologie samt Filmfunktion: Es verwendet ein neues mathematisches Verfahren für die Bildrekonstruktion und kommt dadurch mit nur wenigen Einzelmessungen pro Bild aus. Die Technik beschleunigte die MRT-Aufnahmen ein weiteres Mal erheblich, auf bis zu 100 Bilder pro Sekunde. Dies erlaubt es, beliebige Vorgänge im Inneren des Körpers wie Gelenke in Bewegung, das schlagende Herz oder komplexe Abläufe wie das Sprechen oder Schlucken direkt zu beobachten.
Davon könnten Patienten mit Gelenk- oder Herzproblemen ebenso profitieren wie Menschen mit Sprachstörungen, Schluckbeschwerden oder Sodbrennen. Herzpatienten müssen beispielsweise bei der Echtzeit-MRT – anders als bei einer konventionellen MRT-Untersuchung – dank der schnellen Bildrate weder den Atem anhalten, noch muss die Aufnahme über das EKG-Signal gesteuert werden. „Ärzte können so in viel kürzerer Zeit das schlagende Herz in einer neuen Weise umfassend kardiologisch begutachten und Herzrhythmusstörungen genauer analysieren“, so Frahm. Die Echtzeit-MRT wird derzeit an der Universitätsmedizin Göttingen und mehreren anderen Universitäten in Deutschland, Großbritannien und den USA für den routinemäßigen Einsatz am Patienten getestet.
Der Erfinderpreis wird unsere Motivation weiter stärken, wissenschaftliche Forschung zu betreiben, die unmittelbar den Menschen zugutekommt. Die hiermit verbundene große mediale Aufmerksamkeit wird sicher dazu beitragen, die breitere klinische Nutzung unserer Echtzeit-MRT-Technik zu beschleunigen.
Jens Frahm
Horn spielen live
Aber nicht nur in der Medizin, auch in ganz anderen Bereichen wie beispielsweise der Musik liefert die Echtzeit-MRT neue Einblicke. So untersucht Frahm, der selbst Klarinette spielt, in einer gemeinsamen Studie mit der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, wie Klang in Blechblasinstrumenten wie dem Horn erzeugt wird. An dieser Studie beteiligt waren auch Berliner Philharmoniker. Ihre eigenen Spielbewegungen live zu sehen, brachte den Blechbläsern überraschende Einsichten: Anders als bisher gedacht, haben Zungenbewegungen einen ganz erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Töne. Diese Erkenntnis könnte für die künftige Musikerausbildung bedeutend sein und helfen, Berufskrankheiten von Blechblasmusikern wie die fokale Dystonie zu therapieren.
Video: Horn spielen
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Echtzeit-MRT-Film eines Horn spielenden Musikers. Das Horn, ein Naturhorn, wurde extra für den Einsatz im Magnetresonanztomografen gebaut und wird hier liegend gespielt. Das Mundstück des Horns ist nicht zu sehen. Diese Anwendung ist vor allem interessant, wenn man Berufsmusiker mit einer Muskelstörung im Mundbereich untersuchen will.
CR/BA
Über den Europäischen Erfinderpreis
Der Europäische Erfinderpreis wird 2018 zum 13. Mal vergeben und ist einer der wichtigsten Innovationspreise in Europa. Er wird seit 2006 jährlich vom EPA verliehen und zeichnet einzelne Erfinder sowie Erfinderteams aus, deren bahnbrechende Entwicklungen Antworten auf große Herausforderungen unserer Zeit geben. Eine internationale, hochkarätig besetzte, unabhängige Jury aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Forschung prüft dabei, inwieweit die nominierten Erfinder mit ihrer Arbeit zu technischem sowie gesellschaftlichem Fortschritt, zum wirtschaftlichen Wohlstand und zur Schaffung von Arbeitsplätzen in Europa beigetragen haben.
Die Öffentlichkeit ist ebenfalls eingeladen, ihren Beitrag zur Kür eines Siegers zu leisten: Der Gewinner des Publikumspreises wird aus den je drei Finalisten der fünf Kategorien durch Online-Abstimmung auf der Webseite des EPA im Vorfeld der Zeremonie gewählt.